Die schwarzen Schuhe
Veröffentlicht in 13. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Da stehen sie. Einfach so, da an der Strassenecke. Die Schuhe. Da, an der Wand, angelehnt. In der Schachtel. Schwarze Pumps. In einer weissen Schachtel. Warum nur? Das fragt sie sich schon die ganze Zeit. Sie kann sie genau sehen von ihrem Fenster aus, wie sie sich abheben, so ganz schwarz im Weiss der Schachtel. Drumherum nur das Dunkel der Nacht. Kein Mensch ist da, niemand, nichts. Da stehen sie, allein, fast wie ein Mahnmal. Aber wofür? Was macht das für einen Sinn? Sie überlegt sich verschiedene Szenarien. Wäre es möglich, dass sie dort vergessen wurden? Ja, vielleicht bei einem Umzug. Vielleicht hatte es jemand eilig. Aber warum hat dieser jemand dann alles andere mitgenommen und nur diese Schuhe vergessen? Möglicherweise gab es einen Streit. Möglicherweise ja gar nicht dort auf offener Strasse während des Umzugs, sondern bereits davor. Es könnte ja sein, dass sich ein Paar im Streit getrennt hat, und sie hat diese Schuhe in der Wohnung vergessen. Dann hat sie der Verlassene vielleicht einfach dort hingestellt. Weil sie so überstürzt los ist, und weil er sie noch liebt. Weil er es nicht über das Herz bringt, die Schuhe einfach wegzuwerfen, es aber zu sehr schmerzt, sie noch in der Wohnung zu haben. In der Hoffnung, sie kommt zurück. In der Hoffnung, sie sieht die Schuhe und versteht. Die schwarzen Pumps in der weissen Schachtel als Mahnmal für die Liebe. Mit Hoffnung beladen, dort abgestellt und einfach vergessen. Ob er sie auch schon vergessen hat? Läuft er nicht jeden Tag daran vorbei? Aber das ist doch grausam, denkt sie sich. Da muss man doch etwas tun, das hält doch niemand aus. Und so geht sie hinunter, rennt über die Strasse durch den Regen direkt auf die Schuhe zu. Es ist immer noch niemand zu sehen, und so beschliesst sie einfach, die Schuhe zu nehmen. Sie nimmt sie mit, und sie nimmt sich vor, sie in Ehren zu halten. Schliesslich sind sie ein Mahnmal für die Liebe. Plötzlich überkommt sie die Traurigkeit und unter die Tropfen des Regens mischen sich ihre Tränen. Sie weint um die Hoffnung, die in diesen Schuhen stecken. Langsam geht sie wieder zurück, und noch bevor sie wieder oben angekommen ist, kontrolliert sie, ob die Schuhe ihr passen. Genau ihre Grösse, das kann doch nicht sein, sie passen wie angegossen. Da stehen sie jetzt zusammen im dunklen Treppenhaus, die schwarzen Schuhe und sie. In der Hand hält sie die weisse Schachtel, die nass ist vom Regen und ihren Tränen. Und da fühlt sie plötzlich die Hoffnung in sich aufsteigen. Die Schachtel wird wieder trocknen, die Schuhe werden wieder laufen, und zusammen sind sie nicht mehr allein. Die Schuhe werden sie von jetzt an begleiten, und wer weiss, vielleicht findet sie ja darin endlich die Liebe.
Eine Nacht
Veröffentlicht in 12. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Ein Zufall,
eine Nacht,
vielleicht mehr.
–
Ein Zufall,
eine Nacht,
der Abschied ist schwer.
–
Ein Zufall,
eine Nacht,
ich fühle mich leer.
–
Ein Zufall,
eine Nacht,
ich vermisse dich sehr.
Der Schmetterling
Veröffentlicht in 7. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar

Der Schmetterling:
zerbrechlich,
zart und schön.
Als Raupe ungeliebt,
als Falter
gern gesehn.
Er zeigt uns
die Verwandlung auf,
die wir so gerne hätten.
Den schweren Körper
lässt er hinter sich,
wie wir‘s so gerne täten.
Er fliegt davon,
ist frei und leicht
und hält auf schönen Blüten.
Er regt uns so
zum Träumen an,
bis wir im Innern wüten.
Und endlich losziehn,
fort,
um unsren Durst zu stillen,
um dort
den Traum beim Schopf zu packen,
allein um unsretwillen.
Mensch sein
Veröffentlicht in 6. April 2014 2 Kommentare
Mensch sein,
Mensch bleiben,
ist heute
das Schwerste überhaupt.
–
Gefühle haben,
und sie auch zeigen,
ist leider
fast gar nicht mehr erlaubt.
–
In einer Gesellschaft,
in der Gewinn zählt,
man funktionieren muss,
die auf Maschinen baut.
–
Mensch sein,
Mensch bleiben,
wer das noch schafft,
hat eine dicke Haut.
–
Fast wie ein Elefant
kommt er daher,
so gross und stark
und mächtig,
–
bis er sie alle ruft:
„Kommt her und schaut!
Ich bin ein Mensch,
bin frei – und laut!“
–
Da kommen sie und sehen,
und es gefällt ihnen nicht.
Da schimpfen sie und gehen,
und verziehen ihr Gesicht.
–
Er war ihr Spiegel,
in einer anderen Gestalt.
Sie haben ihn nicht erkannt,
mit seiner dicken Haut.
–
Er bleibt zurück und zweifelt,
an allen und an sich,
bis er einen Spiegel findet,
in den ER gerne schaut.
–
Mensch sein,
Mensch bleiben,
ist heute
das Schwerste überhaupt.
Der Wellness-Tag
Veröffentlicht in 2. April 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Sie schliesst die Augen und geniesst das Sprudelbad. Sie spürt, wie sie entspannt, es ist ein angenehmes Gefühl, sich im Wasser nahezu schwerelos zu fühlen. Die leichte Vibration der Luftblasen auf ihrem Körper tut das ihrige dazu. Gleichzeitig steigt ihr der Rosenduft in die Nase, der von den Rosenblättern im Wasser noch verstärkt wird. Einfach nur wundervoll, diese Ruhe. Das hat sie sich schon lange gewünscht, ein Tag nur für sich allein, an dem sie einfach nur tun und lassen kann, worauf sie Lust hat. Es sich einfach gut gehen lassen, wenigstens einmal nur an sich denken. In ihrer gewohnten Umgebung fällt ihr das schwer, aber hier, an diesem wunderbaren Platz, ist es irgendwie ganz leicht. Das ganze Hotel mit dem riesigen Wellnessbereich ist so eingerichtet, dass man sich einfach nur wohl fühlen kann. „Ist das vielleicht Feng Shui?“, überlegt sie sich. Aber egal, das spielt gar keine Rolle, darüber muss sie sich hier zum Glück ja keine Gedanken machen. Sie atmet tief ein, und da ist er wieder, dieser himmlische Rosenduft.
„Und, wie findest du es?“ Plötzlich schreckt sie aus ihren Gedanken auf. Vor ihr steht ihr Mann. Er sieht sie erwartungsvoll an und hält ihr einen riesigen Strauss Rosen hin. Ein kurzer Blick auf die Karte und den Gutschein in ihrer Hand genügt, und die Gegenwart hat sie wieder. „Vielen Dank, das ist das perfekte Geschenk“, ruft sie freudig, „ein Wellness-Tag nur für mich allein!“ Er grinst: „Ich dachte mir, dass du das dringend nötig hast, so hart wie du in letzter Zeit gearbeitet hast. Und stell dir vor, das Beste ist, dass du gar nicht allein gehen musst! Ich komme auch mit, stell dir vor!“
Zeit (als Geschenk)
Veröffentlicht in 1. April 2014 2 Kommentare
Überrascht,
betört,
verbunden.
Nichts gesucht
und alles gefunden.
Aus Angst
wird Vertrautheit,
das ist Sehnsucht
nach mehr.
Kein Versprechen,
aber Zeit
als Geschenk –
ich mag dich sehr.
Heute Nacht träume ich… (2)
Veröffentlicht in 31. März 2014 Hinterlasse einen Kommentar
… davon, auf dem Schiff die dunklen, aufgewühlten, tobenden Wassermassen hinter mir zu lassen und mit Blick nach vorn auf den ruhigen, glitzernden, hellen Horizont zuzusteuern – mit dem frischen Wind im Haar, der warmen Sonne im Gesicht und einem Lächeln auf den Lippen.
Der Grund
Veröffentlicht in 30. März 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Sich unbekannt kennen
ohne Grund
sich unsicher sicher fühlen
ohne Grund
unverbunden verbunden sein
ohne Grund
ungeduldig Geduld haben
aus einem Grund
dem Grund
dass wir
keinen brauchen
dort
wo Unlogisches logisch ist
und die Zeit
keine Bedeutung hat
Die Zugfahrt
Veröffentlicht in 26. März 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Auf dem Nachhauseweg im Zug blickte er aus dem Fenster und dachte noch einmal über das nach, was er gerade gehört hatte. Darüber, was Freiheit bedeutet. Es war ein sehr aufschlussreicher Vortrag gewesen, den er heute Abend besucht hatte. Eigentlich war er nicht einmal freiwillig hingegangen, auch wenn das Thema ihn natürlich interessierte. Aber er hatte damit gerechnet, dass es vor allem um die politische Dimension von Freiheit gehen würde. Dass er sich jetzt selbst so aufgewühlt fühlte, das hätte er nicht gedacht. Er war ganz ehrlich überrascht, denn eigentlich war er immer davon ausgegangen, dass er frei sei. Sollte das alles wirklich nicht stimmen? Ja, es erschütterte ihn zwar, dass der Redner darüber gesprochen hatte, wie unfrei die Demokratie doch eigentlich sei. Das war ihm bisher nie aufgefallen. Doch es stimmte, dachte er, wirklich frei sind wir alle nicht, bei all den Vorschriften und Regeln, die wir uns selbst auferlegen. Aber nun gut, das war nicht zu ändern. Nein, in seinen Grundfesten erschüttert hatte ihn etwas anderes. Es war die Frage nach der Freiheit von der eigenen Vergangenheit gewesen. Und er fragte sich nun, ob er wirklich so frei war, wie er immer gedacht hatte. Frei, weil er sich unabhängig fühlte, weil niemand auf ihn wartete, niemand Rechenschaft wollte für sein Tun, und er als moderner Single in der Stadt doch nun wirklich seine Freiheit genoss. Doch wenn er jetzt ehrlich war, dann wusste er, dass das nicht stimmte. Er hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, aber er hatte einfach immer weitergemacht und sich treiben lassen. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass genau das ihn unfrei machte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Er liess sich von seiner Vergangenheit leiten! Er leitete sich gar nicht selbst. Seine Erfahrungen machten ihn unfrei für die Entscheidungen in der Zukunft. Er hatte sich nie darum bemüht, sich von seiner Vergangenheit zu befreien, schliesslich gehörte sie doch zu ihm. Oder war das nur eine Ausrede? Eine Ausrede, damit er sich nicht dem Unangenehmen stellen musste? Er merkte, wie es ihm die Kehle zuschnürte, wie der Schmerz zurückkam, den er so lange verdrängt hatte. Weil er sich aber hier zwischen all den fremden Leuten nicht von ihm überwältigen lassen wollte, durchsuchte er die Tasche nach einem Stift und kritzelte ein paar Worte auf die Rückseite des Abendprogrammes:
Schmerz
Vergessen,
verdrängt,
vorbei.
Und trotzdem
immer
mit dabei.
Es war das erste Mal, dass er so etwas aufschrieb. Unsicher las er noch einmal durch, was er notiert hatte. Dann hielt der Zug. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er schon da war. Schnell schnappte er sich mit der einen Hand seine Tasche, knüllte das Papier mit der anderen zusammen und warf es beim Rausgehen in den nächsten Mülleimer.
















