Gefangen

„Ich will hier raus!“, war das erste, was Jonas durch den Kopf ging, als er die Augen aufmachte. Panisch sah er sich um. Es war zwar dunkel um ihn herum, doch er konnte gerade noch erkennen, dass er von vier Wänden umgeben war. Es erschien ihm komisch, dass die Wände zwar keine Fenster hatten, dafür aber bei einer Wand an der oberen Kante durch einen dünnen Spalt ein wenig Licht in den sonst beklemmend niedrigen Raum eindrang. Die Decke war gerade mal so hoch, dass er sich halb aufrichten konnte, also robbte er gebückt auf dem Boden herum und versuchte so herauszufinden, wo er sich eigentlich befand.

„Wo um Himmels Willen bin ich hier gelandet?“, flüsterte Jonas in die staubige Dunkelheit. Mit seinen Händen fing er an, den Raum anzutasten. So, wie es schien, war hier alles aus Holz. Als Jonas das erkannt hatte, konnte er plötzlich auch den leicht modrigen Geruch einordnen, der wohl vom schon recht alten Holzboden stammte. Er wusste zwar nicht genau warum, aber er war sich fast sicher, dass vor ihm bereits viele andere in diesem Raum gewesen und genau wie er durch die Hölle gegangen waren.

In ihm herrschte jetzt eine Leere und Ohnmacht, wie er sie zuvor noch nie verspürt hatte. Am liebsten hätte er geheult, aber das würde ihn auch nicht weiterbringen. „Was habe ich denn getan? Warum bin ich hier drin? Wie komme ich hier wieder raus?“, fragte er sich immer und immer wieder. In seinem Kopf herrschte nun das absolute Chaos. Fragen über Fragen, doch auf keine einzige konnte er sich eine Antwort zusammenreimen. Er fühlte sich so hilflos!

Jonas wurde langsam wütend. Vor lauter Wut und Frust fing er nun an zu schreien und mit den Fäusten gegen den Boden zu hämmern. Plötzlich war da eine Stimme: „Hallo? Wer ist da?“ Jonas erschrak. „Hey!“, rief er, „Hey, ist da jemand? Kannst du mir helfen?“ Doch die Stimme sagte nur ganz traurig: „Nein, ich bin hier genauso gefangen wie du. Aber ich bin froh, wenigstens bin ich jetzt nicht mehr ganz alleine. Ich befinde mich direkt unter dir. Wenn du dich auf den Boden legst, dann musst du nicht mehr so laut schreien. Das kostet nur Energie.“ Langsam beruhige sich Jonas. Er legte sich ganz flach auf den Boden.

„Hallo! Ich bin Jonas. Und du?“ „Hallo Jonas, ich heisse Nina“ „Nina, du meine Güte, bin ich froh, dass jemand da ist! Wie lange bist du denn schon hier?“ Nina überlegte und antwortete dann unsicher: „Ach, ich weiss nicht. Schon lange. Ich habe mittlerweile gar kein Zeitgefühl mehr.“ In Ninas Stimme schwang leise Verzweiflung mit. Jonas hatte deshalb seine Hoffnung schon fast wieder aufgegeben, trotzdem wollte er einen Versuch wagen: „Hast du denn eine Ahnung, wo wir hier sind und wie wir hier wieder rauskommen?“

Auch diesmal brauchte Nina lange, bis sie antwortete: „Das einzige, was ich sicher weiss, ist, dass wir keine Hilfe erwarten können. Wenn du’s irgendwie schaffen willst, dann aus eigener Kraft. Und das ist echt schwer. Ich hab’s am Anfang wirklich versucht, aber ohne Erfolg. Langsam fehlt mir auch der Antrieb dazu. Aber vielleicht schaffe ich es ja jetzt, wo du auch da bist!“ Jonas zweifelte zwar daran, dass er ihr helfen konnte, doch das wollte er ihr nicht sagen.

„Hmmm, okay. Und wie genau kann ich mich denn selbst befreien?“, wollte er jetzt wissen. Doch nie hätte er mit der Antwort gerechnet, die Nina ihm nun gab: „Naja, also, du musst versuchen, den Spalt zu vergrössern, dort, wo das Licht reinkommt. Wenn du genug Kraft hast, dann kannst du irgendwann rausklettern. Aber du kannst dir ja vorstellen, wie schwer das ist. Es ist beinahe unmöglich, eine Schublade von innen zu öffnen. Vor allem, wenn du nicht mal weisst, warum du hier eigentlich reingesteckt wurdest.“

8 Comments on “Gefangen”

      • Ich glaube, dass der Leser genügend Fantasie hat und die Geschichten aus ihren Schubladen reißen kann. Nur weil ich eindimensional sortiere, um im Kopf die Stränge nicht zu verlieren, gilt auf der Empfangsseite ja nicht das gleiche Schema.
        Vielleicht führen wir irgendwann die Kategorienkriege am Rande der letzten Einsortierung. Ach nein, im Grunde führen wir diese ja schon. Heißen nur anders.

      • Hach, ja… Für mich ist deine Frage so toll, weil sie mich auf die Metaebene des Textes gebracht hat. Zwar ging es mir bei Schreiben des Textes natürlich darum, dass man die Menschen nicht so einfach schubladisieren sollte – aber dass ich Jonas, der ja auch ein von mir erfundener Protagonist in einem Text ist, gerade selbst kategorisiert habe, ist mir gar nicht aufgefallen! Also habe ich ihn in zweifacher Hinsicht in die Schublade gesteckt, in der er sich jetzt befindet. Das ist gleichzeitig toll und auch furchtbar. Aber das ist so wie bei allem: Was man bei anderen kritisiert, davon ist man selbst selten frei… Die Lösung für dieses Problem hast du mir aber zum Glück auch gleich geliefert: Den Leser mit seiner Fantasie. Toll! Danke für all diese Gedankenanstösse 🙂

        Aber sag noch: Wie heissen die Kriege denn, die wir schon führen?

  1. Schön, dass ich helfen konnte 🙂
    Na, die heutigen Kriege nennen sich z.B. Glaubenskriege, Rohstoffkriege. Im Grunde geht es doch bei allem nur darum, jemanden in eine Schublade zu stecken, um seine eigenen kleinlichen Ziele zu verwirklichen. So ganz knapp und aus der Hüfte geschossen zusammengefasst.

  2. Liebe Jeanette ❤
    ein ganz toller Beitrag, den ich, sorry, erst heute entdeckt habe. Dieses Klischee mit dem Schubladendenken, dem so viele oder die meisten Menschen heute verfallen sind, hast du auf den Punkt der Punkte gebracht! Einfach grandios und begeistert lege ich dir mein Lob und mein Danke fürs Lesen lassen hier zu Füßen 😉

    Ich wünsche dir einen wunderbaren Start in den heutigen Samstag und ein tolles Wochenende
    Liebe Grüße
    Heike

  3. Liebe Heike, jetzt muss ich dir aber schon noch antworten, bevor das Wochenende ganz um ist. Ich hoffe, du hattest trotz Schmuddelwetter viel Freude :-), und ich wünsch dir schon mal eine guten Start in die neue Woche!

    Vielen lieben Dank! Ja, das ist ein Thema, dass mich sehr beschäftigt und ich habe mir schon lange überlegt, dass ich dazu gerne einen Text schreiben würde. Es freut mich sehr, dass dir meine Art, darüber zu schreiben, gefallen hat 🙂

    Ganz liebe Grüsse
    Jeanette

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