In Gedanken verloren

In ihrem Kopf ratterte es ununterbrochen. Was passiert war, liess sie nicht mehr los, ihre Gefühle fuhren Achterbahn und sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Innerlich völlig aufgewühlt, aber äusserlich ruhig blickte sie mit leerem Blick aus dem Fenster und liess noch einmal alle Geschehnisse Revue passieren. Was hatte sie falsch gemacht? Und was wäre gewesen, wenn sie irgendetwas anders gemacht hätte? Eigentlich hatte der Tag damals gut angefangen. Jedenfalls nicht schlechter als irgendein anderer Tag. Und trotzdem ging sie alles noch einmal durch. Wo hatte der Fehler angefangen? War es, dass sie fünf Minuten länger geschlafen hatte? Wäre sonst alles anders verlaufen? Oder wenn sie nicht die rote Bluse angezogen hätte, in der sie sich sowieso nie so hundertprozentig wohl fühlte. Oder hatte sie etwas Falsches gesagt? Etwas Falsches gemacht? War sie zu jemand unfreundlich gewesen? Was wäre gewesen, wenn sie noch mit der freundlichen Nachbarin geredet hätte, statt einfach an ihr vorbeizulaufen? Wenn sie nur ein paar Minuten schneller oder langsamer gewesen wäre, dann wäre doch das alles nicht passiert, oder? Auf all diese Fragen gab es keine Antwort, das wusste sie. Trotzdem konnte sie nicht loslassen. Es war so schwer zu akzeptieren, weil sie es einfach nicht begreifen konnte. Wie konnte so etwas nur passieren? Und vor allem: Wie konnte ihr so etwas nur passieren? Ihr, die immer auf alles vorbereitet war, alle Situationen schon vorher in Gedanken durchspielte, damit sie nicht überrascht wurde. Sie wollte doch einfach nur vermeiden, dass sie nicht wusste, was sie machen sollte. Deshalb war es doch so wichtig, allen unangenehmen Überraschungen das Überraschungsmoment vorweg zu nehmen, damit sie nicht mehr ganz so unangenehm waren. Und jetzt? Jetzt fühlte sie sich einfach nur hilflos. Hilflos, weil sie nichts mehr ändern konnte und hilflos, weil sie wie gelähmt war und gleichzeitig wusste, dass sie eigentlich handeln müsste. Aber sie konnte nicht. Sie hatte sich in ihren eigenen Gedanken verloren und fand den Weg nicht mehr heraus. Und in der Zwischenzeit passierte das Leben. Ohne sie. Und in der Zwischenzeit passierten auch Fehler. Ganz ohne sie. Nur ihr Glück, das fand sie nicht. Weil sie nicht da war. Da draussen, im Leben.

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